Freitag, 8. Mai 2009

Die Hexensalben


Die Salbe macht den Hexen Mut,
Ein Lumpen ist zum Segeln gut,
Ein gutes Schiff ist jeder Trog,
Der flieget nie, der heut nicht flog.

Faust 1, Walpurgisnacht

Graue Dämpfe und exotische Gerüche entsteigen dem schwarzen Eisenkessel, der über den lodernen Flammen brodelt. Eine ältere Frau, sicher schon Mitte der Vierzig (was für die Zeit schon recht betagt war), in schlichter dunkler Kleidung rührt mit einem fingerdicken Holzstab durch die zähflüssige Brühe. Sie rezitierte dabei ohne Unterlass aus einem dicken ledergebundenen Buch. Von Zeit zu Zeit gab sie dem Sud selten gesehene Kräuter hinzu und getrocknete, undefinierbare Teile von Tier Kadavern.

Die Szene wurde von dem Flackern der Pechfackeln an den kargen Wänden erhellt. Die Kräuterfrau kochte ihre Hexensalbe nach altbewährter Rezeptur. Einige Döschen verkaufte sie, einen Teil behielt sie für sich, um aus dem Schornstein auszufahren. „Zum Schlot hinaus und nirgends an!“, war die Devise, in heutigem Hochdeutsch übersetzt.

Auf zu rauschenden Festen und Hexentreffen. Dabei kam es bei der Bereitung der Salben auf die genaueste Dosierung an, denn eine Idee zu viel zerstossenen Samen vom Bilsenkraut oder etwas zu viel Aconitum oder Belladonna – und man war nicht mehr von dieser Welt. So gar nicht mehr! Fast alle Zusatze waren in höchstem Masse giftig und bewirkten Rauschzustände und das subjektive Gefühl des Fliegens und der Verwandlungen.

So oder ähnlich mag es sich in dem einen oder anderen Hexenhaus zugetragen haben, vor unsäglich langen Zeiten. In der heutigen Zeit tauschen wir gern den gusseisernen Kessel gegen einen Topf aus blinkendem Edelstahl und die offene Feuerstelle zumeist gegen einen Elektroherd mit Ceranfeld und Bratautotomatik. Magie unserer Epoche. Die Damen und Herren zu unseren Zeiten sind mit Mitte der Vierzig noch recht jugendlich, wozu die Lebensumstände, ärztliche Versorgung und die Pflege sehr entscheidend beitragen.

Trotz der heute allgemein üblichen klassischen Medizin orientieren sich vile Mitmenschen immer häufiger an alten Kräuter-Heilmethoden. Selbst Wissenschaftler und Ärzte müssen Zugeständnisse machen. Naturheilverfahren helfen Erkrankten weiter, wo Mikroorganismen mittlerweile resistent gegen Antibiotika werden.

Man erinnert sich häufiger mit Wehmut an die alten Wissensschätze, die mit zahllosen kräuterkundigen Frauen und Männern auf den Scheiterhäufen verbrannt wurden. Einige Informationen und Rezepte haben über die Jahrhunderte hinweg im Verborgenen überdauert. Auch Rezepturen von magischen Flug- und Hexensalben. Und diese haben bis in die heutige Zeit ihre Faszination nicht verloren.

Ich habe von meiner Uroma Aufzeichnungen und mindestens vier verschiedene und ernstzunehmende Rezepte echter Hexensalben. Die einzelnen Bestandteile werde ich hier sicher nicht in genauer Dosierung beschreiben und erklären, um möglichen Selbstversuchen Interessierter vorzubeugen. Die Bestandteile waren (neben wirkungslosen aber unheimlichen Bestandteilen wie Fledermausblut – die armen possierlichen Tierchen...) fast ausnahmslos hochgiftige Zutaten. Die Hexensalben wurden in der Regel an besonders empfindlichen Stellen des Körpers verrieben - wie Stirn, Schläfen, Achselhöhlen, Handflächen, Herzgegend, Leistengegend, Kniekehlen und Fußsohlen. Je nach dem Zweck wählte man die Pflanzen aus: Alraune, Bilsenkraut, Stechapfel, Tollkirsche, Eisenhut u.ä. - ebenso Fliegenpilze, Düngerlinge u.a. Pilze.

Na ja, da wäre also zum Beispiel Aconit, der blaue Eisenhut oder auch Sturmhut. Der / die Hobbygärtner/in unter euch weiss sicher schon, worauf ich hinaus will. Die sehr schön anzusehende Pflanze mit den intensivblauen Glocken wirkt bereits giftig, wenn man mit die Blüten ohne Handschuhe berührt. Es kommt lokal auf der Haut zu Taubheit, später zu Jucken und Brennen. Und das schon bei leichter Berührung. In stärkster Verdünnung werden aus den Inhaltsstoffen der Pflanzen Herzmedikamente und andere Dinge, auch für die Naturheilkunde, hergestellt. Der Verzehr der Wurzel ist absolut tödlich.

Ähnlich verhält sich das mit den weiteren Bestandteilen der Salben: Belladonna, Schwarzes Bilsenkraut und anderes. Auf diese Weise bekam man das subjektive Gefühl der Verwandlung in Tiergestalten oder des Fliegens. Die Welt schien leicht und problemlos.

In der heutigen Zeit gibt es wesentlich gefahrlosere Möglichkeiten sich vom Alltag zu entspannen. Ab und an ein Glässchen Rotwein oder ein Kristallkelch mit perlendem Sekt zu besonderen Anlässen tut es genau so gut. Oder man bringt sich mit einer leichten Selbsthypnose in Trance. Das Leben ist längst nicht mehr so beschwerlich und trist wie zur damaligen Zeit, so dass man flüchten wollte. Vielleicht in Zeiten wie die heutigen, wo selbst weite Strecken problemlos mit PKW oder der Bahn zurück gelegt werden können. Licht ist auf Knopfdruck einfach da. Gemüse müssen wir nicht mühsam ernten, sondern kaufen sie bequem im Laden um die Ecke. Und selbst eisige Aussentemperaturen brauchen wir nicht zu fürchten – dank Zentralheizungen.

Aber die Idee von den Hexensalben hat mich zu anderen Dingen inspiriert. In der Eso-Abteilung einer namhaften grossen Bücherei habe ich bereits vor längerem ein „Meditaions-Balsam“ gefunden. Zu überteuerten Preisen, wie ich finde. Aber ich war neugierig. Das Balsam duftete sehr angenehm, war absolut ungiftig und liess mich wirklich träumen.

Aber, liebe Hexen, Hexer und Interessierte, wie wäre es denn einmal mit eigener Herstellung? Das ist ebenso preiswert wie spannend. Als Basis nehme der geneigte Nutzer eine Mischung aus Bienenwachs Wollfett und Pflanzenöl (sehr erschwinglich aus eurer Lieblings-Apotheke). Oder ihr nutzt, wie meine Oma seinerzeit, reines Schweineschmalz. Nun erhitzt ihr dieses (NUR im Wasserbad!) mit pulverisierten Pflanzen nach eigener Wahl (z.B. Lavendel, getrocknene duftende Rosenblätter usw.), verrührt alles kräftig und lasst es erkalten. In einen schönen Tigel gefüllt kann es zur Entspannung, zum Wohlbefinden oder zur Meditation verwandt werden.

MEIN TIPP: anstelle der getrockneten Pflanzen könnt ihr auch naturreine ätherische Öle (aus der Apothke) zu der noch flüssigen Basis geben. Ylang-Ylang zum Beispiel (auch gemischt mit Cocos, Sandelholz, Bergamotte oder Zimt) ist Erotik pur. Damit haben sich vor allem die Damen so etwas wie ein persönliches Créme-Parfum geschaffen. Was ich euch nicht abnehmen kann und will: das Probieren und Testen der Duftkompositionen. Das haben wir mit den „Ur-Hexen“ noch immer gemein, wenn wir uns nicht ausschliesslich auf fertige Produkte verlassen wollen. Und alles immer schön ins „Buch der Schatten“ schreiben, damit eure kostbaren Rezepturen nicht dem Zufall überlassen bleiben.

Viel Spass beim Bereiten eurer persönlichen Hexensalben wünscht euch MARAN

(C) by www.Hexer-Maran.com

Dieser Text wurde bereits im Jahre 2004 vom Hexer Maran in einer Ausgabe der Hexenzeitung ESBAT veröffentlicht. Wiedergabe - auch wenn nur Auszugsweise - nur mit vorheriger Genehmigung.